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Rainbow Unicorn Studio — Bürgerliche Kälte
Rainbow Unicorn Studio — Bürgerliche Kälte

Vor einem Jahr habe ich mich mit einem Ausstellungsvorhaben für einen
Open-Call beworben, bei dem Künstler*innen ein Ausstellungsraum auf einem
in der Spree fest verankerten, historischen, stillgelegten Boot mit dem
Namen Heimatland angeboten wurde. Die Bewerbung blieb erfolglos, hat mich
aber zu folgenden Überlegungen geführt und mir wieder einmal gezeigt, wie
stark ich mich in meiner bildnerischen Arbeit von Worten leiten lassen:
‘Heimatland’ ist ein für die deutsche Sprache typisches
zusammengesetztes Nomen. Und trotzdem würde ich es in meinem persönlichen
Sprachgebrauch als Muttersprachlerin nicht benutzen. Das Wort ‘Heimat’
verstehe ich und begreife es vor allem als ein Immaterielles, als Gefühl
von Geborgenheit und Vertrau(t)em, was sich mit Menschen, Freunden,
Familie, Geschichten, Gerüchen und Geschmäckern, Klängen und Sprachen
einstellen kann. In Verbindung mit dem Wort ‘Land’ wird es zum Problem,
es wird zum Territorium, zur Nation, zur Nationalität, zur Grenze. Es wird
zur Differenz. Wer gehört dazu, wer nicht und wer darf rein, ins Heimat-
Land? Wer kann sich integrieren? Hat er/sie ob seiner Ausbildung das
Zeug zur Ressource (Facharbeiter*in) oder ist er/sie eine Wirtschaftslast
(Wirtschaftsflüchtling)? Schreckliche Kategorien tun sich auf, um
die Tauglichkeit für Eindringlinge ins ‘Heimatland’ zu prüfen. Dieses
Reglementieren und Prüfen, bzw. die (gewaltsame) Abweisung geschieht dabei
unter dem Deckmantel der Sicherheit und des Schutzes des „Heimatlandes“,
der allem voran dem materiellen Status quo gilt.
Das vorherrschende Klima in diesem ‘Heimatland’ ist die Kälte,
wobei ich mich hiermit auf ein Radiointerview mit der Berliner Philosophin
Henrike Kohpeiß beziehe, das ich einige Wochen zuvor gehört hatte, in
dem sie ihr neues Buch bespricht. Darin beschreibt sie u.a. am Beispiel
der Verweigerung von Seenotrettung die Diskrepanz des europäischen,
humanistischen Wertekanons zur praktizierten, europäischen Asylpolitik,
inklusive der gewaltsamen „Sicherung“ der Grenzen dieser vermeintlichen
Wertegemeinschaft. Hauptträger dieser Diskrepanz ist nach Kohpeiß das
bürgerliche Subjekt und sein „soziales, institutionelles und intellektuelles
Leben in westlichen Gesellschaften“, dass sich mit Hilfe einer komplexen
„Sozial-Technik“ einen Schutz- und Selbsterhaltungsraum generiert, der die
Bürger*innen vor der Gewalt schützt, die sie selbst verursachen. Kohpeiß
bezeichnet diese affektive Technik (wie auch ihr Buch betitelt ist) als
„Bürgerliche Kälte“ und knüpft damit an die kritische Theorie Adornos an,
der „Bürgerliche Kälte“ sowohl als Bedingung für die Shoah identifiziert,
als auch als Überlebensstrategie für alle ihr „Entronnenen“. Kohpeiß
erweitert diese Einflussnahme und beschreibt „Bürgerliche Kälte“ nicht nur
als Gefühlslage der Gegenwart, sondern setzt Kälte auch in Genealogie mit
europäischer Kolonialgeschichte und einer kontinuierlichen Manifestation
von subjektiver Bürgerlichkeit auf Kosten von Anderen, von Objekten.
Dieser theoretische Bezugsrahmen ist ein harter Brocken, der mir
im Hals stecken geblieben ist. Aber die Diagnose für diese emotionale
Stimmung finde ich so treffend und bewegend, dass ich für diese unglaublich
plastische Begrifflichkeit „Bürgerliche Kälte“ ein künstlerisches
Gegenüber finden wollte. Ich musste an meinen Ausflug nach Velten ins
Keramikmuseum denken, dass eine Sammlung von historischen Kachelöfen
beherbergt. Seit dessen Besuch hatte ich das Bedürfnis Kachelöfen in
wärmende Textilien zu übersetzten, die in ihrer Dinghaftigkeit gleichzeitig
durch Proportion, Größe und durch an menschliche Bekleidung angelehnte
Details eine Figürlichkeit besitzen und die Omnipräsenz der winterlichen
Michelin Männchen spiegeln. Ich war mir aber unsicher, was das soll und
nun muss ich an Kohpeiß denken und ihre Beschreibung von ritualisierter
Trauer anlässlich im „Burggraben Europas“ ertrunkener Anonymer. Und
dann ziehen wir uns eine schützende, isolierende, wärmende Daunenjacke
an, die Kälte kann bleiben, die Unzulänglichkeit perlt ab und wir sind
wohltemperiert. Wir haben uns eingerichtet in dieser Kälte. „Einrichten“
kann man sich im Deutschen nicht nur in seinen Wohnräumen, mit Möbeln,
wozu in früheren Zeiten auch Kachelöfen zählten. Einrichten kann man sich
auch in unbehaglichen Situationen, die man für sich passend gestaltet
und damit abfindet. Die textile Skulptur als Kachelofen erzählt von einem
kalten Außen und einer artifiziellen Wärme im Inneren.
Neben den Skulpturen zeige ich s/w-Fotografien der fortlaufenden
Serie „Geister von Potsdam“. Den Ausgangspunkt für „Geister von Potsdam“
fand ich in der Gründungsgeschichte eines kleinen, brandenburgischen
Dorfs, in dem ich 2023 als Teilnehmerin einer ländlichen Biennale
eingeladen war. Das Dorf mit dem Namen Neuwerder wurde in der zweiten
Hälfte des 18. Jhr. unter Anweisung des Preußenkönigs Friedrich II. als
Kolonistendorf gegründet. Kolonistendorf bedeutet, dass Land durch die
Krone freigegeben wurde damit dieses von Immigranten kolonisiert, also
urbar gemacht und besiedelt werden konnte (Mensch=Resource). Dieses
Vorkommnis ist nur eine winzige Randnotiz in einem komplexen, politischen
Gebilde aus strategischer Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik.
Friedrich II. wird von Preußenliebhaber*innen immer wieder ob seines
liberalen Umgangs mit Immigration gerühmt (beispielhaft hier auch die
preußische Religionsfreiheit), doch war diese nicht Geste einer übermäßigen
Menschenliebe, sondern Mittel und Zweck zur Steigerung der preußischen
Steuer- und Wirtschaftskraft um eine überproportionierten Armee (4/5 der
preußischen Staatseinkünfte verschlang die Armee!), auf dem Weg von einem
Herzogtum zur Großmacht zu unterhalten.
Zentrum dieses politischen Machtwillens war dabei Potsdam und
so umkreise ich, heute, künstlerisch, fotografisch diesen preußischen
Repräsentationsort, in dessen Zentrum die preußische Erfolgsgeschichte
lupenrein in Form von untoter Reproduktionsarchitektur erzählt wird,
finanziert von privaten Spendengeldern, einer überaus bürgerlichen,
nach 1989 zugezogenen Bewohnerschaft. Dafür wird fleißig abgerissen,
um Neugebautes alt aussehen zu lassen. Das ist der heutige Stadtbild
dominierende „Geist von Potsdam“, der vor hundert Jahren eine Anti-
Haltung, rechts-nationaler und/oder monarchietreuer Kräfte in Abgrenzung
zur jungen Weimarer Republik beschrieb. In Details fotografiere ich
analog die Schein-Architektur und überlagere sie mittels Doppelbelichtung
mit geisterhaften Händen, Köpfen und zarten, entrückten Wesen. Diese
im Bild festgehaltene Kulissenhaftigkeit ist auch eine Einrichtung der
„bürgerlichen Kälte“ und zeigt dessen Repräsentationsgebahren und wofür
es sich lohnt, zu spenden.

Frohe Weihnachten, Christin Kaiser

Rainbow Unicorn Studio — Bürgerliche Kälte